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Die dunkle Glocke
Szene 2
1

Sie verstummten. Das Lächeln wich aus ihren Gesichtern und ihr Blick wandte sich in die Richtung, aus der das dumpfe Schlagen zu ihnen drang. Für einen sehr langen Moment starrten sie die Öffnung des Türrahmens zum Nebenraum an und versuchten das flaue Gefühl, das sich ihrer Magengrube bemächtigt hatte, zu verdrängen.

Jess brach schließlich den Bann der Erstarrung und fragte: „Wer kann das um diese Uhrzeit sein.“ Bei dieser Frage zog sie unbewusst das Laken über ihr Schultern und bedeckte damit die Blöße, die sie kurz zuvor noch freizügig präsentiert hatte.

„Keine Ahnung.“ Seine Antwort kam mechanisch, denn er wusste es wirklich nicht. Doch eine beunruhigende innere Stimme ließ ihn schaudern.

Erneut schlug jemand gegen die Tür, dieses Mal heftiger und schneller. Irgendwie rechnete Eric damit, als Nächstes die Worte »Aufmachen! Polizei« zu hören. Sie blieben aus. Noch schwach und diffus begann sich in seinem Inneren etwas zu regen. Er brauchte einen Moment, um dieses kaum spürbare Aufglimmen zu identifizieren. Doch es wuchs an und mit dem Anwachsen wurde ihm bald klar, dass es Angst war, die in seine Eingeweide kroch. Noch immer drang der tiefe Glockenklang durch alle Ritzen seines Hauses, als würde der Schall ungehindert durch Türen, Fenster und Wände gleiten können. Der Laut trug etwas mit sich, das nur schwer zu bestimmen, aber ganz eindeutig unheilschwanger war.

Eric hielt sich krampfhaft an der Harmlosigkeit dieses kirchlichen Signals fest, musste sich jedoch mehr und mehr eingestehen, dass diese Glocke anders zu sein schien. Sie verbreitete nicht nur einen Ton in einer ungewöhnlich tiefen Lage, sie erzeugte auch ein Gefühl, das gnadenlos in alles Lebende und Tote eindrang.

Zögernd und widerwillig erhob er sich und verließ den Raum. Jess hörte, wie seine nackten Füße auf die Fliesen des Fußbodens patschten, als würde er durch eine Pfütze gehen. Dann das Knarren der Tür. Sie hielt den Atem an, um besser zu verstehen, was am anderen Ende des Hauses gesprochen wurde. Doch es blieb lange still. Sie wollte sich schon aus dem Bett schwingen und selbst nachsehen, als sie Erics Stimme schließlich doch vernahm. Mit einer Mischung aus Unglaube und Schrecken stieß er hervor: »Was zur Hölle…?« Dann brach der Satz ab.

Hintergrundfoto: Rob Potter
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