Plötzlich herrschte Stille. Das Läuten war verstummt. Obwohl Eric das Geräusch kaum noch wahrgenommen hatte, fiel ihm die unvermittelte Ruhe sofort auf. Er hielt in seiner Bewegung inne, drehte den Kopf und versuchte festzustellen, ob er sich möglicherweise geirrt hatte. Noch bevor er sich seiner Sache sicher war, trat Jess in die Tür: »Es ist weg!« Unsicherheit schwang in ihrer Stimme mit und sie sah Eric seltsam erwartungsvoll an. Er überlegte kurz, was sie jetzt wohl von ihm hören wollte, rang sich dann aber lediglich zu einem Nicken durch.
»Ich finde es trotzdem irgendwie unheimlich.« Noch immer beschäftigte sie der Vorfall von vorhin. Die gesamte Atmosphäre hatte auf sie beklemmend gewirkt. Die lethargischen Menschen vor ihrem Haus, die Dämmerung, der Bodennebel und über allem dieser unsägliche Glockenton. Sie lebten nun bereits seit mehr als einem Jahr in dem beschaulichen Örtchen und hatten sich bisher sehr wohl gefühlt. Auch wenn Blackridge Falls ein wenig verschlafen wirkte, waren die Leute nett. Es gab eine kleine Shopping Mall, Ärzte und das meiste, was man brauchte, um das Landleben genießen zu können. Und dann erschallte erstmals diese tiefe, dumpfe Glocke und alles schien verändert. Aus dem idyllischen Städtchen wurde mit einem Mal ein mystischer, beinahe unheimlicher Ort. Unbehagen erfasst sie und zum ersten Mal dachte sie daran, wieder wegzuziehen. Doch sie schob diesen Gedanken auf die zurückliegenden Erlebnisse und behielt in für sich.
Die Türklingel läutete. Wie vom Blitz getroffen, fuhren beide zusammen. Ihre Köpfe flogen herum und ihr Herzschlag beschleunigte sich. Erneut war es Eric, der sich zuerst von dem Schrecken erholte, doch bevor er sich anschickte, die Tür zu öffnen, hielt ihn Jessica am Arm zurück: »Diesmal gehe ich. Ich bin wütend genug, um – egal, wer uns jetzt wieder belästigen will – mal ordentlich den Marsch zu blasen.« Trotz seiner Verwirrung musste er bei diesen Worten grinsen und ließ ihr den Vortritt.
Mit steifem Rückgrat und Ausschau haltend nach dem nächstbesten Gegenstand, den man als Waffe missbrauchen konnte, ging sie den kurzen Flur entlang. In der festen Absicht, jeden, der ihr jetzt quer kommen wollte, mit Nachdruck zu vertreiben, riss sie die Haustür auf. Einige unflätige Beschimpfungen bereits auf der Zunge, fiel ihr dann aber der weiße Lieferwagen mit der blauroten Beschriftung des USPS-Paketdienstes auf. Ein junger Mann mit fettigem langem Haar und unterschriftsbereitem Smartphone in der Hand stand vor ihr und hielt ihr ein Paket hin. »Bitte hier unterschreiben.«, sagte er gelangweilt, ohne sie anzuschauen. Völlig perplex kam sie der Aufforderung nach und nahm die Schachtel in Empfang. Als der Lieferfahrer davon brauste, ließ sie den Blick an den Häusern gegenüber entlangwandern. Zwei Nachbarinnen unterhielten sich angeregt über eine Gartenhecke hinweg. Eine junge Frau räumte das Bobby Car ihres Kindes vom Vorgarten und ein Mann lud Getränkekästen in den Kofferraum seines Wagens. Nichts deutete auf die seltsame Szene vom Morgen hin. Alles war wie immer.
Eric trat neben sie und legte seinen Arm um ihre Schultern: »Was war?«
»Nur ein Paketbote.«, antwortete sie geistesabwesend. »Nur ein Paketbote.«