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Gedanken zu einer gar nicht so schweren Frage

„Wie ist es dir ergangen?“

Die Frage überraschte ihn. So selbstverständlich sie bei einer Begegnung zu Jahresbeginn auch sein mochte, so sehr fühlte er sich überrumpelt. „Wie ist es dir ergangen?“ Er wollte jetzt, genau in diesem Augenblick, keine Floskeln dreschen. Er wollte seinen Gegenüber nicht mit Belanglosigkeiten abspeisen. Er empfand es als unaufrichtig, als falsch. Doch wie sollte er dann antworten? Aufrichtig die zurückliegenden Ereignisse darlegen? Die Wichtigen herauspicken? Positive? Negative? Wäre sein Gegenüber tatsächlich an seinen Höhen und Tiefen interessiert? Würde es ihn interessieren, dass der Gesundheitszustand seiner Frau wieder Anlass zur Freude gab? Dass sein Roman Fortschritte machte, aber im Moment kaum voran kam? Wäre es für diesen Menschen nicht demotivierend all die zurückliegenden Tiefs zu erfahren? Sicher ließe sich das eine oder andere so formulieren, dass es in einem besseren Licht erschiene, doch liefe auch dies wieder auf Floskeln und vielleicht sogar Halbwahrheiten hinaus. Die Ereignisse sind vergangen, nichts hat wirklich nachgewirkt. Es waren Erinnerungen, die irgendwann verblassen würden, deren Halbwertzeit sich vermutlich auf wenige Monate beschränkte – eigentlich nicht der Erinnerungen wert.

Sicher, er freute sich über die Gesundheit seiner Frau. Er freute sich, dass sein Roman bereits im achten Kapitel angekommen war. Doch was würde es dem Gegenüber bedeuten? Rechnete er nicht sogar mit einer Floskel? War es nicht üblich, wenn nicht gar geradezu hoffähig, mit einer Plattitüde zu antworten? Er betrachtete seine Bekanntschaft und versuchte sie einzuschätzen. Doch nichts verriet die Aufrichtigkeit der Frage. Das Gesicht wirkte ebenso unergründlich, wie die Frage selbst.

Für einen Moment spielte er mit dem Gedanken, loszuplappern, sein Herz auszuschütten und über all seine Freuden und Enttäuschungen zu berichten. Es gab genug zu erzählen, denn vieles hatte ihn in der zurückliegenden Zeit bewegt. Er wollte es loswerden, wollte seinem Herzen, seinen Emotionen Luft machen.

Mit einem Lächeln sah er seinem Gegenüber tief in die Augen und antwortete: „Gut!“

Titelfoto: Josh Nuttall
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