Ein Windhauch schleicht durch das dunkle Zimmer und bringt meinen Schleier ein wenig in Unruhe. Vorsichtig schwebe ich zum Fenster und blicke auf die von fahlem Mondlicht beschienene Mauer am Ende einer schwarzgrauen Wiese. Der unebene Grund des Anwesens bietet zahlreiche Verstecke und die verfallene Hütte war ohnehin schon immer mein Lieblingsplatz, schon damals, als es noch hell war.
Ein erneuter Luftzug lässt mich erschaudern, denn nun wird er von einem Laut begleitet, der Unheil verspricht. Ein leises Rumpeln, als würde jemand einen Stuhl oder einen kleinen Schrank um einige Zentimeter verschieben, zerreißt geradezu die perfekte Stille der Nacht. Aufgeregt husche ich im Raum umher, unentschieden, ob und wenn ja, wo ich mich verstecken soll. Kurzentschlossen verschwinde ich durch die größte Lücke, die sich mir bietet – den Kamin. Damals, als ich das Licht der Dunkelheit noch vorzog, mochte ich den alten Kamin sehr. Inzwischen erinnert er mich nur an die Wärme, die er einst ausgestrahlte und dieser Gedanke bereitet mir Unbehagen. Aber er war in diesem Augenblick nun mal die erstbeste Möglichkeit, Schutz zu suchen. Zum Glück muss ich nicht lange in dem schwarzen Schacht bleiben. Vorsichtig drücke ich mich gegen die Wand, spüre die unangenehme Ausstrahlung der Vergangenheit, werde mit ein wenig Überwindung dennoch Eins mit Mauersteinen, Poren und Staub und gleite sanft hindurch.
Den Fehler, den ich damit beging, bemerke ich kurz bevor meine Sinne die alte, verwitterte Tapete auf der anderen Seite erreichen. Grelles Licht scheint durch das faserige Papier und versengt mich ein wenig. Huschende Strahlen tanzen auf dem groben Muster umher. Fußgetrappel auf knarrendem Holz bringen Unruhe in die Mauern, die sonst ein ebenso vollständiges, wie belebendes Schweigen beherbergen. Dann ein Krachen, so laut, dass mich der Schrecken beinahe das schützende Wehr des Mauerwerks verlassen lässt. Doch die Aufregung weckt auch meine Sinne und ich beschließe, den alten, den stillen Zustand wieder herzustellen.
Flüsternde Stimmen schweben durch den Raum und verfangen sich direkt vor mir in der Wandverkleidung. Ich greife nach ihnen, drehe sie ein wenig, verändere ihre Struktur und lasse sie langsam und verzerrt zurückfließen. Plötzlich Stille! Das beinahe geräuschlose Rascheln von Kleidung ist noch zu vernehmen, dann erneut ein Flüstern, noch leiser, zaghafter. Wieder werfe ich den Ton zurück und beschließe in einem Anflug von Wagemut, mich zu zeigen. Zögernd lasse ich mich als amorphes Glimmen durch die Struktur der modrigen Tapete gleiten und schwebe schließlich als schemenhaftes Flirren vor drei Personen. Das Licht ihrer Leuchtstäbe durchdringt mich brennend, doch ich bemühe mich, den Schmerz zu ertragen. Es gelingt mir nicht und meine Konsistenz beginnt sich zu verändern. Ich versuche, den Strahlen auszuweichen, dehne mich aus, schrumpfe sofort wieder zusammen und fliehe in Panik von Ecke zu Ecke, von Wand zu Wand. Auf den Gedanken, erneut im Mauerwerk zu verschwinden, komme ich nicht.
Gleichzeitig kommt rastlose Bewegung in die drei Personen im Raum. Lautes Stolpern, heftiges Atmen, fliegende Arme und wildes Getrappel groben Schuhwerks auf Jahrhunderte altem Holz zerfetzen den sonst so tiefen Frieden dieser Mauern. Dann der viel zu hohe Schrei eines Mannes oder einer Frau. Es ist nicht zu erkennen. „Ein Geist!“ Die letzte Silbe langgezogen und sich selbst überschlagend, verhallt gemeinsam mit dem leiser werdenden Getrappel schnell in den Tiefen der Nacht.
Es ist wieder wunderschön still. Ein Windhauch schleicht durch das dunkle Zimmer und bringt meinen Schleier ein wenig in Unruhe. Ich genieße es.